Weisungsrecht des Arbeitgebers zur Übertragung von Pflichten aus dem Compliance-Management-System
Nach der Ermittlung aller Rechtspflichten des Unternehmens im Rahmen der Einrichtung des Systems sind in einem nächsten Schritt die festgestellten Pflichten auf die Mitarbeiter und vor allem auch auf die Führungskräfte zu delegieren. Arbeitsrechtlich wird die Delegation durch einseitige Weisung des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO begründet. Es handelt sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Der Empfang und die Kenntnis der delegierten Pflichten muss vom Arbeitgeber nachgewiesen werden. Ich verweise auf diese rechtliche Möglichkeit deshalb, weil in Unternehmen oftmals das Missverständnis herrscht, der Arbeitgeber müsse die Führungskräfte und die Arbeitnehmer individuell für die Einhaltung der Rechtspflichten des Unternehmens gewinnen, sie einzeln überzeugen und um ihre Akzeptanz werben. Freiwillig sind nach aller Erfahrung Mitarbeiter aller Hierarchiestufen nicht bereit, Rechtspflichten des Unternehmens zu übernehmen und zu erfüllen. Bestehende Arbeitsverträge können auch nicht ergänzt oder um neue Pflichten erweitert werden.
Für den Arbeitgeber kommt als einfachste Möglichkeit der individuellen Einbeziehung zunächst die einseitige Einbeziehung durch Weisung des Arbeitgebers im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO in Betracht. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitsvertrages und als solches Inhalt jedes Arbeitsverhältnisses (BT-Drs. 14/8796, S. 24; Thielemann, Verstöße des Arbeitnehmers gegen Compliance- und Ethikrichtlinien, 2019, S. 73). Neben der Nutzung des Weisungsrechts des Arbeitgebers können Compliance-Pflichten auf Vertragsebene zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Formulierung von Standardarbeitsverträgen einbezogen werden sowie durch Abschlüsse einer Änderungsvereinbarung oder durch die Vornahme einer Änderungskündigung. Die einseitige Einführung von Rechtspflichten über das Weisungs- bzw. Direktionsrechts des Arbeitgebers ohne weiteren Rechtsakt ist damit die für den Arbeitgeber rechtlich günstigste und einfachste Variante (Thielemann, Verstöße des Arbeitnehmers gegen Compliance- und Ethikrichtlinien, 2019, S. 73; Mengel/Hagemeister, Betriebsberater 2007, 1386 (1387). Durch die einseitige Weisung wird außerdem eine einheitliche Anwendung im Unternehmen sichergestellt. Das Weisungsrecht ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag und aus § 106 GewO, wo es deklaratorisch formuliert wird. Der Arbeitgeber kann nach § 106 GewO S. 1 GewO die Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses nach Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingung nicht durch einen Arbeitsvertrag, Bestimmung einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch für die Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb. Aufgrund seiner Organisationspflicht bezüglich der arbeitsteiligen Kooperation im Unternehmen kann der Arbeitgeber zur Sicherung von Arbeitsabläufen Pflichten festlegen. Darüber hinaus auch die Nebenpflichten, wie zum Beispiel allgemeine Rücksichtnahmepflicht durch Ausübung seines Direktionsrechts. Die Rechtspflichten beruhen ausnahmslos auf gesetzlichen Grundlagen, deren Konkretisierung durch Weisungen eingeführt werden können (Thielemann, Verstöße des Arbeitnehmers gegen Compliance- und Ethikrichtlinien, 2019, S. 74; Mengel/Hagemeister, Betriebsberater 2007, 1386 (1387); BAG, Urteil v. 27.03.1980 – 2 AZR 506/78, Urteil v. 20.12.1984 – 2 AZR 436/83, AP Nr. 26 u. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht; BAG, Urteil v. 25.10.1989 – 2 AZR 633/88, NZA 1990, 561). Aus § 241 Abs. 2 BGB ergeben sich Nebenpflichten des Arbeitnehmers zu denen die Compliance-Pflichten zu zählen sind.
Im Compliance-Management-System „Recht im Betrieb“ lässt sich die Weisung über die Organoberaufsicht gezielt und individuell auf die Arbeitnehmer delegieren, verbunden mit der Aufforderung, Empfang und Kenntnisnahme zu bestätigen. Die Delegation durch einseitige Weisung des Vorstands empfiehlt es sich mit einem Vorstandsbeschluss zu begründen. Im Rahmen der Delegation kann der Bezug der delegierten Rechtspflichten zum Verantwortungsbereich des jeweiligen Mitarbeiters begründet werden.