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17.02.2021

Bestandsaufnahme bei Führungswechsel

Der Zeitpunkt des Führungswechsels ist für neue Vorstände der günstigste Moment, eine Bestandsaufnahme über das Pflichtenprofil im Unternehmen und deren Einhaltung zu veranlassen, um eventuelle Rechtsverstöße aus der Vergangenheit unter der Verantwortung der früheren Vorstände zu ermitteln. Die neuen Organe können mit der frühen Bestandsaufnahme der Rechtspflichten verhindern, dass sie eventuelle Rechtsverstöße ihrer Vorgänger zu verantworten haben, weil sie es versäumen, zum frühestmöglichen Zeitpunkt Rechtsverstöße zu korrigieren.

In unserer Broschüre „Das Verhältnis von Legalitätspflicht und Selbstbelastungsschutz nach dem „nemo-tenetur-Prinizip“ wird dieses Thema in den Kapiteln 5 und 6 behandelt. Sie finden die Broschüre im Downloadbereich auf unserer Internetseite. Dargestellt wird unter anderem der Konflikt von Vorständen einerseits, ihre Legalitätspflicht erfüllen zu müssen, andererseits sich nicht selbst belasten zu müssen, wenn es zu Rechtsverstößen im Unternehmen kommt. Dieser Konflikt entsteht nur dann, wenn unter der Verantwortung von Vorständen ihre Legalitätspflicht vernachlässigt wurde und keine Klarheit darüber besteht, ob sämtliche Pflichten im Unternehmen bekannt sind und eingehalten werden. Der Vorstand muss nämlich sich selbst legal verhalten und dafür sorgen, dass sich seine Angestellten ebenfalls legal verhalten und die auf sie delegierten Pflichten erfüllen. Je länger unter der Verantwortung eines Vorstands dieser Zustand der Unklarheit über die Unternehmenspflichten und die Verantwortlichen andauert, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass unter seiner Verantwortung für die Organisation gegen Rechtspflichten verstoßen wird und damit Vorwürfe gegen ihn wegen Organisationverschuldens begründet werden. Würde er Rechtsverstöße in der Zeit seiner Verantwortung entdecken, müsste er sich selbst belasten, was ihn aller Erfahrung nach abhalten wird, die Rechtsverstöße aufzudecken, zu verfolgen und zu sanktionieren, weil sein eigenes Organisationsverschulden offen gelegt würde.

Der Konflikt wird vom Bundesverfassungsgericht in seinem Gemeinschuldner-Beschluss vom 13.01.1981 beschrieben (BVerfGE NJW 1981, S. 1432). Dieser Konflikt entsteht dann nicht, wenn der neue Vorstand bei Amtsantritt eine Bestandsaufnahme bei der Übernahme der Verantwortung veranlasst und sich vergewissert, ob alle Rechtspflichten im Unternehmen bekannt sind und eingehalten werden, und ob seine Vorgänger im Amt ihre Organisationspflicht erfüllt haben. Führungskräften ist deshalb zu empfehlen, beim Antritt ihres Amtes und beim Führungswechsel eine solche Bestandsaufnahme zu veranlassen.

Unstreitig ist, dass sich Vorstände nicht mit Fehlern ihrer Vorgänger entlasten können. Ein Führungswechsel ist deshalb die günstigste Gelegenheit, ein Compliance-Management zu installieren. Bei langjährig amtierenden Vorständen und Geschäftsführern ist zu beobachten, dass sie nur zögernd sich zu Compliance-Management-Systemen entschließen, weil sie immer fürchten müssen, eigene Verstöße offenzulegen.

Im Übrigen haben Vorstände und Geschäftsführer eine Informationsbeschaffungspflicht (BGH, 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, BB 1996, 924, Wissensaufspaltung). Vorstände und Geschäftsführer müssen sich vergewissern, ob alle Vorschriften eingehalten sind. Sie müssen alle tatsächlichen und rechtlichen Informationsquellen erschöpfen (OLG Düsseldorf, 9.12.2009 – 6 W 45/09, NJW 2010, 1537 (IKB-Entscheidung). Entsprechend der Informationsbeschaffungspflicht sind alle Angestellten zur Meldung über alle rechtlich relevanten Tatsachen verpflichtet, wozu insbesondere die Sachverhalte aus ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich gehören. Um ihre Auskunftspflicht gegenüber Aufsichtsrat, Hauptversammlung und Behörden nachkommen zu können, müssen Vorstände darüber informiert sein, ob sämtliche Pflichten des Unternehmens ermittelt und erfüllt werden. Wir haben dazu die Organoberaufsicht als Instrument im System, mit der Vorstände sich regelmäßig vergewissern können, ob alle Pflichten ermittelt, delegiert, erfüllt und kontrolliert sind.

Es empfiehlt sich, anzuregen, den Vorstand darauf aufmerksam zu machen, dass die Einführung eines Compliance-Management-Systems eine solche Bestandsaufnahme auch und vor allem im Interesse der neuen Vorstandsmitglieder liegen muss und deshalb ihre volle Unterstützung beanspruchen sollte.

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