Absicht zur Abschaffung der gesetzlichen Bestellung von Beauftragen im Koalitionsvertrag
Der Koalitionsvertrag sieht unter der Überschrift „Bürokratieabbau“ in Zeile 1907 die Abschaffung der Pflicht zur Bestellung der Betriebsbeauftragten vor. Diese politische Absichtserklärung muss alle Betriebsbeauftragte und die Vorstände und Geschäftsführer von Unternehmen alarmieren. Die Existenzberechtigung der Beauftragten wird zu Unrecht in Frage gestellt. Die folgenden Gründe und Argumente für die Unverzichtbarkeit der Beauftragten und ihrer gesetzlichen Bestellung sollen zur Meinungsbildung beitragen, um die berechtigte und bewährte Funktion der Beauftragten beizubehalten. Die Funktion der Beauftragten wird verkannt und unterschätzt. Die folgende Argumentationshilfe soll Beauftragte und Geschäftsleiter in die Lage versetzen, für die Beibehaltung der Beauftragten und ihre gesetzliche Stellung einzutreten.
1. Die weisungsunabhängigen Beauftragten sichern die Selbstkontrolle der Unternehmen und vermeiden die staatliche Kontrolle durch Behörden
Erstens würde mit der Abschaffung der Beauftragten die Errungenschaft der Eigenkontrolle und Selbstregulierung der Unternehmen aufgegeben. Die Beauftragten sind Angestellte der Unternehmen mit einem Sonderstatus. Für sie gilt das Benachteiligungsverbot, Kündigungsschutz, Unterstützungspflichten der Geschäftsleitung mit direktem Zugang. Sie haben Stabsfunktionen mit Beratungs- und Kontrollaufgaben und keine Linienfunktionen mit Entscheidungsbefugnissen und Entscheidungsverantwortung. Sie beraten, informieren und kontrollieren weisungsunabhängig bei der Einhaltung aller Rechtspflichten in den jeweiligen Rechtsgebieten, für die sie bestellt sind.
Eine Alternative wäre es, die unternehmensinterne Selbstkontrolle durch staatliche unternehmensexterne Behördenvertreter zu ersetzen, was ursprünglich einmal im Gesetzgebungsverfahren mit Erfolg verhindert wurde. Es würde nicht weniger sondern mehr Bürokratie geschaffen. Schon aus der amtlichen Begründung ergibt sich, dass die Eigenverantwortung der Betreiber durch die angestellten Beauftragten gestärkt werden soll, weil staatliche Stellen dazu nicht in der Lage sind. Behördenvertreter können einen risikofreien Anlagenbetrieb allein nicht gewährleisten, da sie nicht die gleichen unternehmensinternen Detailkenntnisse haben wie die Betreiber selbst (amtl. Begründung BT-Dr 11/4909,s.13). Beauftragte durch Behördenvertreter zu ersetzen, würde mehr und nicht weniger Bürokratie schaffen und weniger Effizienz zum risikofreien Anlagenbetrieb bewirken.
Nur Angestellte als Insider sind in der Lage, Risiken in Unternehmen zu erfassen, die durch gesetzlich geregelte Rechtspflichten abzuwenden sind. Die Ermittlung der einschlägigen Rechtspflichten setzt das Erkennen von Risiken voraus. Risiken sind Prognosen über Schadensentwicklungen aus Unternehmenssachverhalten. Vertraut sind damit nur die eigenen Angestellten des Unternehmens, die intime Kenntnisse über Produkte und Produktion haben können, die Behördenvertretern gerade nicht als Ersten anvertraut werden sollen. Nur Angestellte sind deshalb in aller Regel zur verlässlichen Gefährdungsbeurteilung der unternehmenseigenen Verhältnisse in der Lage.
2. Unternehmenseigene gesetzlich bestellte Beauftragte vermeiden den Interessenkonflikt von Geschäftsleitern zwischen Legalitätspflicht und Gewinnerzielungspflicht
Zweitens würden die Vorstände und Geschäftsführer nach der Abschaffung der gesetzlichen Bestellung der Beauftragen eigene Kontrollen einsetzen und überwachen müssen. Die Geschäftsleiter würden dem Interessenkonflikt ausgesetzt, zwischen ihrer Legalitätspflicht und ihrer Pflicht zur Gewinnerzielung wählen zu müssen. Sie könnten nicht auf die gesetzlichen Regeln verweisen, die sie zur Bestellung und zum Aufwand für die Beauftragten verpflichten, und zwar auch ohne eigene Rechtfertigung des Aufwands für Beauftragte. Die Entscheidung wäre ihnen nicht durch den Gesetzgeber abgenommen. Sie müssten den Einsatz von Beauftragten, ohne gesetzlich verpflichtet zu sein, gegenüber ihren Anteilseignern rechtfertigen, was nach dem Präventionsparadox nahezu unmöglich ist.
3. Die gesetzliche Pflicht zum Aufwand für Beauftragten erspart nach dem Präventionsparadox die betriebswirtschaftlich schwer vermittelbare Rechtfertigung
Drittens bleiben Erfolge der Beauftragten beim präventiven Vermeiden von Rechtsverstößen oft mangels vorzeigbarer Ergebnisse ohne Lob und Anerkennung. Compliance Erfolge sind unsichtbar und nicht messbar. Auf Gewinn verpflichtete Geschäftsleiter fehlt der messbare Nutzen, der sich den Anteilseignern nicht vorrechnen lässt. Es handelt sich um das Präventionsparadox. Der erfolgreich präventiv verhinderte Rechtsverstoß lässt sich mit der Begründung anzweifeln, er sei gar nicht eingetreten. Unsichtbare Erfolge werden als Erfolglosigkeit gedeutet. Der Aufwand sei deshalb mangels Erfolg überflüssig. Das Präventionsparadox ist nur schwer zu erklären. Existiert aber eine gesetzliche Pflicht, muss ein Geschäftsleiter den Aufwand zur Einhaltung aller Unternehmenspflichten und Bestellung und Einsatz der Beauftragen dazu nicht erklären. Der Compliance Aufwand ist dem Aufwand für Versicherungsprämien vergleichbar. Der Gesetzgeber hat es in der Gesetzesbegründung ein für alle Mal nach dem unausgesprochenen ONCE-ONLY-PRINZIP verbindlich für alle Normadressaten und alle Fälle begründet.
4. Die Abschaffung von Gesetzen mit Schutzzweck löst politischen Widerstand aus
Viertens verkennt, wer die Abschaffung von Gesetzen und von Beauftragten zur Kontrolle ihrer Einhaltung fordert, dass er dann auch den Schutz durch die Gesetze abschafft. Jedes Gesetz dient der Abwehr eines Risikos und wird von den geschützten Interessenskreisen mit Mehrheit gefordert und im Parlament mit Mehrheit verabschiedet. Gesetze dienen zum Beispiel dem Arbeitsschutz zur Abwendung vor dem Risiko von Berufsunfällen und Berufskrankheiten der Belegschaft von Unternehmen, dem Anlegerschutz der Kapitalgeber vor dem Risiko des Kapitalverlusts, dem Immissionsschutz vor Klimaschäden, dem Gewässerschutz vor Gewässerverunreinigung, dem Brandschutz vor Brandgefahren. Gesetze abschaffen würde bedeuten, den bezweckten Schutz aufzugeben. Die durch ein Gesetz Geschützten sind in aller Regel nicht bereit, auf den einmal gewährten Schutz zu verzichten und werden Widerstand gegen die Abschaffung leisten. Die Forderung, für jedes neue Gesetz zwei Geltende abzuschaffen, würde den Aufwand zur Beratung, vor allem zur Mehrheitsfindung und Beschlussfassung verdreifachen. Jedes neue Gesetz würde mit Mehrheit beraten und beschlossen und das Abschaffen von zwei geltenden Gesetzen müsste ebenso mit Mehrheit beraten und beschlossen werden.
Schließlich werden alle Gesetze schon nach einer Evaluierungsklausel in einem geordneten Verfahren regelmäßig in Fünfjahresabschnitten danach geprüft, ob sie den ursprünglich beabsichtigten Gesetzeszweck noch erfüllen, oder ob sie angepasst oder sogar abgeschafft werden müssen. Die Absichtserklärung im Koalitionsvertrag lässt eine Begründung vermissen, dass der gesetzliche Zweck der Bestellung von Beauftragten von Gesetzes wegen nicht erfüllt wird. Die Verzichtbarkeit der gesetzlichen Bestellung von Beauftragten wird nicht begründet. Bürokratie würde nicht ab sondern müsste sogar aufgebaut werden.
5. Steigendes Beratungspensum durch steigende Zahl von Gesetzen zur Abwehr neuer Risiken und unklare Rechtslage als Gründe für die Unverzichtbarkeit und Beibehaltung der Beauftragen
Fünftens wird der Schutz durch Gesetze von allen Geschützten gewollt. Der Aufwand für Rechtsschutz wird dagegen als Überregulierung und Bürokratie diffamiert und abgelehnt.
Geschützt werden wollen alle, mit Aufwand schützen will niemand. Nicht der Rechtschutz vor Risiken sondern der Aufwand der Rechtsanwendung wird abgelehnt. Der Aufwand steigt ständig. Im Ergebnis kommen jedes Jahr 1.073 neue Rechtsnormen zur Abwendung neu erkannter Risiko per Saldo im Durchschnitt der letzten 17 Jahre aus 93 Rechtsgebieten dazu. In 2024 sind in der Datenbank RECHT IM BETRIEB 23.030 Rechtsnormen und 76.649 Rechtspflichten mit einem Zuwachs von 1.310 neuen Rechtsnormen und 2.189 neuen Rechtspflichten gespeichert. Die Statistik zur Aktualisierung von Rechtsnormen und Rechtspflichten von 2007 bis 2024 ist beigefügt.
Pro Monat werden 10 % aller Normen und Pflichten geändert, durch Wegfall, inhaltliche Änderungen, Änderungen der Rechtsprechung und durch neue Normen und Pflichten. Auch dieses Pensum belegt die Unverzichtbarkeit der Beauftragten, die diese Fülle von Rechtsänderungen monatlich bewältigen müssen. Neue Gesetze werden erlassen, weil neue Risiken erkannt werden und nach präventiver Risikoabwehr verlangen. Neue Techniken wie zum Beispiel aktuell die künstliche Intelligenz begründen Risiken, deren Abwehr gefordert und durch neue Gesetze gesichert wird. Über alle Änderungen und über die neuen Pflichten müssen die Beauftragten entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag die betroffene Belegschaft informieren und beraten.
Zu empfehlen ist im Ergebnis, das Pensum der Beauftragten bei der Aktualisierung demonstrativ offenzulegen, um den Koalitionsparteien von der Unverzichtbarkeit der Beauftragten zu überzeugen. Das Pensum der Beauftragten, die Anzahl und Art der Rechtspflichten und ihre monatlichen Änderungen sowie der Aktualisierungsaufwand werden im Compliance-Management-System RECHT IM BETRIEB mit den Rechtsquellen sichtbar gemacht.
6. Die Senkung des Aufwands der Rechtsanwendung durch Digitalisierung nach dem ONCE-ONLY-PRINZIP als Lösung
Sechstens erweist sich die Senkung der Anzahl der Gesetze wegen des steigenden Bedarfs von abzuwendenden Risiken als aussichtlos. Trotz aller Absichten zum Bürokratieabbau steigt die Zahl der Gesetze ständig. Statt Gesetze und Beauftragte für ihre Einhaltung abzuschaffen und den errungenen Rechtsschutz vor abzuwenden Risiken aufzugeben, bietet sich als Ausweg und Lösung die systematische Senkung des Aufwands durch die Digitalisierung der Rechtsanwendung an. Nach dem ONCE-ONLY-PRINZIP (Durchführungsverordnung (EU) 2022/1463) werden Unternehmenssachverhalte ein für alle Mal danach geprüft, welche Rechtspflichten sie auslösen. Sachverhalte werden mit den Rechtspflichten einmal verlinkt, einmal gespeichert und im Wiederholungsfall wiedergefunden und wiederverwendet.
Sachverhalte in Unternehmen wiederholen sich. Unternehmen sind standardisiert eingerichtet.
Verfahren, Stoffe, Geräte wiederholen sich und müssen nur einmal rechtlich geprüft, verlinkt, gespeichert, wiedergefunden und wiederverwendet werden. „Das Rad muss nicht täglich neu erfunden werden.“ Die Datenbank RECHT IM BETRIEB hat inzwischen 4,2 Millionen Links zwischen Sachverhalten und Rechtspflichten gespeichert. Diese gespeicherten Prüfergebnisse müssen im Wiederholungsfall nicht erneut geprüft werden, sondern können wiederverwendet werden, wenn sie den gleichen Sachverhalt betreffen. Bei ähnlichen Sachverhalten reichen Anpassungen nach dem gespeicherten Muster aus. Die digitalen Techniken des Verlinkens, Speicherns, Wiederfindens und Verfügbarhaltens in Datenbanken stehen zur Verfügung und müssen nur zur Rechtsanwendung und zur Risikoabwehr konsequent genutzt werden. Beauftragte sind wegen ihrer Sachkunde in der Lage die Legal-Tech-Instrumente einzusetzen und mit ihrem Fachwissen auf ihrem Rechtsgebiet zu verbinden.
7. Verkürzte Beratungskapazitäten für Betreiber durch das Abschaffen von Beauftragten steigern das Risiko von Rechtsverstößen mit Schadensfolgen.
Siebtens haben Beauftragte den gesetzlichen Auftrag nach dem Muster von § 54 BImSchG, den Betreiber zu beraten, die Mitarbeiter über ihre Pflichten aufzuklären und die Einhaltung der Unternehmenspflichten zu überwachen. Damit helfen sie den Organen des Unternehmens, ihre sechs Organisationspflichten nach der BGH Rechtsprechung aus 288 BGH Urteilen zum Organisationsverschulden einzuhalten, nämlich die einschlägigen Rechtspflichten des Unternehmens zur präventiven Abwendung vollständig zu ermitteln, sie auf Angestellte oder auch Dritte zu delegieren, zu aktualisieren, zu erfüllen, zu kontrollieren und zur Beweissicherung für die Geschäftsleiter zu dokumentieren. In ihrer Stabsfunktion ohne Entscheidungsbefugnis und vor allem auch ohne Entscheidungsverantwortung sind sie die unverzichtbaren und unbestechlichen Helfer von Vorständen und Geschäftsführern beim Organisieren der Legalitätspflicht, die einschlägigen Rechtspflichten des Unternehmens einzuhalten und dafür zu sorgen, dass auch die Angestellten die Rechtspflichten einhalten.
Ohne die Beauftragten müssten die Geschäftsleiter ihre Legalitätspflichten selbst organisieren, was von ihren Aufgaben zur Unternehmenssteuerung einschränken würde.
Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung der Organisationspflichten der Vorstände und Geschäftsführer macht die Beauftragten als unternehmensinterne Berater umso wertvoller.
Die Rechtsunklarheit erhöht den Beratungsbedarf. Beauftragte müssen aus der hohen Zahl der BGH Entscheidung und aus der DIN ISO 37 301 die Organisationspflichten der Organe beraten. Die Abschaffung der Beauftragten würde die unternehmensinterne Beratungskapazität bei gleichzeitig steigendem Beratungsbedarf durch fehlende gesetzliche Organisationsregeln und steigenden Risiken schmälern statt steigern. Dadurch wächst das Risiko von Rechtsverstößen mit Schadensfolgen in Unternehmen.